Ich habe immer gedacht, Verstehen erschließt mir die Welt und auch mich, meine Identität, mein Sein. Pustekuchen. Zumindest, wenn es um echte Veränderung geht. Das ist erstmal eine gewagte Behauptung. Nähern wir uns mal an, ich bin gespannt, wie deine Erfahungen sind.
Wenn ich ein inspieriendes Buch oder Artikel gelesen habe oder einen Film gesehen, dann war ich oft bewegt, erfreut, teilweise sogar euphorisch. So kann das also sein. Ich wollte mehr darüber wissen. So richtig verstehen.
Sich tiefer mit etwas beschäftigen bringt eine neue Perspektive, die Welt oder Situationen – die mich teilweise problematisch beschäftigen – können neu betrachtet werden. Super. Ich hab´s.
Und doch kann das viele Wissen und Verstehen geradezu verschleiern, dass ich eben diese Erfahrung gar nicht ausprobiere, nicht in mein Leben integriere, kein echte Veränderung stattfindet. Wie das?
Ich bin doch gerade dadurch offen für das Neue, oder?
Offen zu sein für hilfreiche neue Erfahrungen, ist eine Grundvoraussetzung für positive Veränderungen. „Ich möchte…“, „ich will…“
Der Gedanke „das kenn ich schon“, „Ich weiß, …“ ist dabei sogar eher hinderlich und kann mich von dem eigentlichen Weg abbringen, das Erlernte auch anzuwenden.
Viel schöner drückte es eine Seminarteilnehmerin aus. Sie hatte – zusammen mit einer weiteren Teilnehmerin (Duo-Übung) – eine eigene hinderliche Überzeugung genau betrachtet und aufgelöst. Eine befreiende Erfahrung.
Im Anschluss sagte sie überrascht „Ich hatte das Buch zu diesen Übungen gelesen und war sehr angetan, fand das alles richtig und habe es verstanden und verinnerlicht. Aber was das jetzt bewirkt hat, die Anwendung, wenn mich jemand anders leitet, das hätte ich nie gedacht oder für möglich gehalten.“
Wenn wir mal annehmen, das unser Denken, Gefühle, Verhalten durch bio-chemische Körpervorgänge, durch Nervenverbindungen und durch sogenannte Epigenetik gesteutert wird. Dann kann man sagen, dass es effizienter ist, immer die gleichen Ausschüttungen in ähnlichen Situationen vorzunehmen. Und so läuft das auch. Im Grunde könnte man dann schon von erstarrten Mustern, Gefühlweisen und Verhaltensweisen sprechen. Sie sind vertraut und erprobt.
Mit einer Erkenntnis, die der Kopf bewusst macht, hat eine tiefe Veränderung der erstarrten Systeme noch keinen echten Schub. Sicher, es kommt etwas in Bewegung. Das zeigt sich vielleicht als eine wachsende Sehnsucht oder verstärktes Problembewusstsein, als Entscheidungssperre o.ä.
Aber erst die Erfahrung, das Nutzen eines neuen bio-chemo Cocktails, der Verbinden neuer Nervenbahnen durchrauscht unseren Körper und unser Unbewusstes. Und dort findet das Leben zum allergrößten Teil statt.
Ich selbst habe große Teile meines Lebens damit verbracht, verstehen zu wollen. Um zu kontrollieren, mich abzusichern, nie wieder solch negative Erfahrungen zu machen. Und dann die immer gleichen positiven Erfahrungen zu suchen. Dabei rauschte eine unbändige Lebenslust neuer Erfahrungen, eine tiefe Berührtheit echter Verbindungen, überwiegend an mir vorbei.
Ich ringe noch immer mit dem Aufnehmen ganz neuer Erfahrungen, nehme immernoch viel Mut und Unsicherheit im Gepäck mit. Doch nun hat mich das Leben gepackt, ich will es nicht mehr verstehen, sondern einfach nicht mehr missen.